Es war einmal eine Königin, die über ein großes Reich regierte. Es lebten in den Provinzen dieses Reiches viele fleißige Untertanen, die ihren Zehnten ohne Not zu leiden jährlich bei der Obrigkeit ablieferten und ihnen doch noch genug Münzen blieben, davon ihr Vieh zu füttern, die Kinder zu ernähren und rechtschaffen leben zu können. Ihre Welt war klein und überschaubar.
In den zahlreichen Provinzen gab es jedoch zu jener Zeit mächtige Statthalter und Granden, die nicht immer den Befehlen ihrer Herrscherin folgten und eigene Erlasse verfertigten, die wiederum unter den übrigen Statthaltern zu mancherlei Verdruss Anlass gaben. Sie nannten das Föderalismus, eine neuartige Form der früheren Vielstaaterei. Das stellte sich jedoch als eine schlechte Vorbereitung auf die nun über sie hereinbrechende Plage heraus.
Eines Tages tauchte nämlich aus fernen Landen ein heimtückischer Feind auf, dessen ungezählten Soldaten ohne vorherige Ankündigung in das Reich einfielen und viele der friedfertigen Bürger töteten. Wie durch einen Zauber waren sie unsichtbar, hinterließen keine Spuren und schienen doch viel gefährlicher als die uns vertrauten Hexen mit ihren Giften, Kräutern und Bannsprüchen. Kurz, es schien gegen diese Plage keine Gegenwehr zu geben, auch die Königin und ihre weisen Gelehrten mit ihren mannigfaltigen Kenntnissen konnten nichts ausrichten. Der Feind war nicht zu stellen und in offener Feld-Schlacht zu besiegen.
Leider hatten die versammelten Statthalter und Granden des Reiches auch nicht genügend Wissen darüber, wie man gemeinsam handelt. Jeder kämpfte für sich alleine und wurde ob seines Heldenmutes von seinen eigenen Untertanen bewundert, freilich nicht von den anderen Granden. So eilte der Feind weiterhin frohlockend von Sieg zu Sieg.
In ihrer Not beschlossen die Statthalter der Provinzen daher, ihre Grenzen zu fremden Reichen zu schließen, wie es die Nachbarn jenseits der Grenze vormachten. Alle Besucher wurden fürderhin an den Grenzen abgewiesen. Nur die Handelsleute, deren Güter im Reich dringend benötigt wurden, durften mit ihren Fuhrwerken passieren. Aber auch dabei war man sich nicht einig. Einer der mächtigsten Statthalter weigerte sich, die Grenzen zu den benachbarten Reichen zu schließen, da er mit den benachbarten Reichen vielerlei Handel trieb. Andere Granden wiesen dagegen ihre Häscher sogar an, nur die eigenen Untertanen in ihrer Provinz wohnen zu lassen, obwohl gerade dort der Feind nur wenig Schaden stiftete.
So ging das Sterben weiter. Es entstand große Konfusion. Manche Statthalter verboten ihren eigenen Untertanen, die Provinz zu verlassen, obwohl aus den anderen Provinzen deren Untertanen alle Grenzen passieren durften. Das führte zu wahrhaft absonderlichen Begebenheiten, die zu großem Verdruss unter den Untertanen der Provinzen des Reiches führten, ohne den unsichtbaren Feind in seinem erbarmungslosen Treiben zu stören.
Der Chronist wird hier und jetzt über solcherlei abstruse Begebnisse berichten, weil sie ihm gar sonderlich und sehr unterhaltsam erschienen, sintemalen er durch Dekret daran gehindert wurde, seine Heimstatt zu verlassen und daher alle diese Ereignisse mit Muße aufzeichnen konnte.
Da waren per Exempel die Karin und der Jobst, die sich gegenseitig die Ehe versprochen hatten:
An beiden Ufern des großen Flusses lagen zwei durch Brücken verbundene Schwesterstädte. Jede gehörte zu einer anderen Provinz. Unser Liebespaar lebte voneinander getrennt in beiden Städten. Die eine Provinz hütete ihre Grenzen zur anderen sehr eifersüchtig, die andere dagegen nicht. Die Erlasse der beiden Statthalter erlaubten aber unserem Liebespaar, sich sowohl in der einen als auch der anderen Stadt am jeweiligen heimatlichen Herd zu besuchen, nicht aber, Hand in Hand spazieren zu gehen, gleich in welcher Stadt. Letztere Bestimmung wäre für Sitte und Ordnung förderlich gewesen, die vorherige eher nicht. Vermutlich wäre es dabei nicht beim Händchenhalten geblieben!
Nun waren die Verhältnisse aber dergestalt, dass beide Liebende bei ihren Eltern wohnten, denen jedoch der Kontakt mit dem nicht zur Familie gehörigen Teil des Paares untersagt war. Von Rechts wegen mussten die Eltern also während eines Treffens der Liebenden das eigene Haus verlassen. Als rechtschaffende Leute und gute Christen mussten sie also der Obrigkeit gehorchen und setzten derart gleichzeitig ihre Kinder den Verlockungen des Teufels aus. Ein richtiges, klassisches Dilemma! Und alles wegen dem Föderalismus.
Im Süden der gleichen beiden benachbarten Provinzen gibt es ebenfalls zwei Städte, die nur durch einen Grenzfluss voneinander getrennt sind. Zwischen den Städten gab es einen regen Verkehr, da hi wie da wertvolle Dienste angeboten wurden, zum Exempel die eines Medicus, zu dem Leidende aus beiden Städten in großer Zahl Hilfe suchend kamen. Seit dem feindlichen Überfall war diesem Heilkundigen zwar erlaubt, die Kranken aus der Stadt jenseits der Grenze zu behandeln, doch diese durften eigentlich nur heimlich über eben diese Grenze zu ihm kommen, da ihnen weite Reisen wie per Exempel die Querung des kleinen Auwaldes rund um den Fluss untersagt waren.
Die Fügungen und Wirren der Jahrhunderte hatten jedoch dazu geführt, dass Land häufig die Besitzer wechselte. Auch die beiden Städte besaßen Land dicht an der Flussgrenze. Diese Grenze folgt aber nicht ausschließlich dem Lauf des Flusses, der beide Provinzen trennt, sondern es gibt Landbesitz der einen Stadt jenseits des Flusses, quasi eine Zunge, so eng angrenzend an das Gebiet der anderen Stadt, dass man gute Ortskenntnisse brauchte, um nicht aus Versehen ein Bußgeld wegen Überschreitens der Grenze ohne triftigen Grund zu riskieren.
Hörensagen hat es, dass auf eben diesem Gelände sogar ein geschichtlich bedeutsames Treffen, ein Friedensschluss, stattgefunden habe.
Heute befindet sich dort ein Händler, der Futter und Tränke für die Pferde verkauft. Er vermietete in dieser kriegerischen Zeit einige seiner Räume an den oben genannten Medicus, der dort seine Kranken aus der benachbarten Provinz behandelte. Bei dieser Geschichte mag es sich jedoch um eine mündliche Überlieferung handeln. In jener Zeit gab es sehr viele sogenannte Falschnachrichten (in den Annalen spricht man von sogenannten "fake News", ein Begriff, dessen Herkunft unklar ist).
Es hatte sich vor dem Überfall durch diesen heimtückischen Feind so ergeben, dass es in der selbigen Stadt gleich zwei Märkte gab, die von den Bewohnern der anderen Stadt gerne besucht wurden. Letztere durften nun nicht mehr über die Grenze kommen, um dringend benötigtes Papier für die Notdurft-Reinigung zu erwerben, während dies den Einwohnern dieser durch zwei reiche Märkte gesegneten Stadt erlaubt war jenseits der eigenen Grenze die Märkte zu besuchen, um besagte Ware dort aufzukaufen.
Der Wert dieser Handelsware in Form einer Rolle erreichte zeitweilig einen Höhepunkt, als es zu wenig davon gab. Es entstand eine zweite Währung, als man die Rollen gegen Waren eintauschen und Dienste damit entlohnen konnte, weil die schlecht laufenden Geschäfte den Wert der jeweiligen Privinz-Währung senkten. Allerdings war es etwas beschwerlich, viel von dem neuartigen Zahlungsmittel in eine Geldbörse zu packen. Wenn man also ein Paar Schuhe kaufen wollte, musste man ein mit Rollen beladenes Packpferd mitführen.
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Über das unsinnige Treiben einiger ihrer Statthalter – in diesem dunklen Zeitalter nannte man das „Politik“ , war die Königin derart erbost, dass sie diese nach einiger Zeit des Zuschauens und Abwartens zu sich rief und sie höflich aber bestimmt bat, die Kräfte für wichtigere Anlässe zu schonen als für Hahnenkämpfe um ihre Nachfolge.
Denn es ging das Gerücht um, der unerbittliche Feind begänne augenscheinlich, den Rückzug anzutreten. Da er dazu aber nicht durch erheblichen Widerstand des Reiches gezwungen wurde, könne der freiwillige Rückzug auch eine Kriegslist sein und er jederzeit zurückkommen könnte, wovor alle gelehrten Ratgeber gewarnt hatten.
Womit erstmalig in der Geschichte räuberischen Kriegszüge ein siegreicher Eindringling zum Rückzug blies, obwohl ihm kein Widerstand entgegen getreten war, er keine sichtbaren Verluste erlitten hatte, und Grenzen für ihn unsichtbar waren.
Manche sehr kluge Menschen glaubten jedoch, es hätte diese Grenzen zwischen Provinzen und Reichen ohnehin nicht gebraucht, da man schon lange ganz neumodische Mittel gegen diesen tückischen Feind gehabt hätte, sogenannte „virtuelle Kampfkräfte", die weder bewaffnet waren, noch sichtbar aufmarschieren mussten.
Es hatte sich nämlich jeder Einwohner brav zu Hause versteckt, wie von den Statthaltern versuchsweise angeordnet wurde. Auch zu höflicher Distanz gegenüber Fremden und großer Reinlichkeit wurde aufgerufen, weil das angeblich die Kräfte der fremden Eindringlinge schwächen würde. Außerdem wurden die Ehefrauen aufgerufen, lustige Masken zu nähen, die man sich über Mund und Nase stülpen und an Stelle eines Schnäuz-Tuches verwenden sollte. Mit Fratzen bemalt würden sie den Feind erschrecken.
Nun, der Chronist glaubt zu wissen, dass die Angreifer durch alle diese Maßnahmen keineswegs geschwächt wurden, sondern es ihnen vielmehr einfach zu mühselig wurde, nach den sich versteckenden oder weit verstreuten Opfern zu suchen. Denn zwei oder drei Opfer auf einen Streich zu erlegen war ihnen lieber. Frustriert zogen sie einfach weiter in Reiche, deren Könige viel Wasser zwischen ihrem Reich und den weit entfernten für ausreichend hielten, sie zu schützen.
So stand in einem großen Reich jenseits des großen Wassers am Strand ein beleibter Hüne mit dem landesweit bekannten, in der Sonne glänzenden Strohhut auf dem Kopf und empfing die Eindringlinge mit einer dicken Rolle Geld. Er spitzte den Mund und sagte: „Let’s make a deal“! Irgendwie hat das jedoch nicht funktioniert. Die Invasoren haben ihn entweder nicht bemerkt und rasten an ihm vorbei, oder hatten keinen Bedarf für Deals!